
Warum deine Filme ohne Stativ besser werden!

Meine Stiefel knirschten auf dem gefrorenen Boden, es war das einzige Geräusch in dieser eisigen, scheinbar leblosen Landschaft. Ich blieb stehen. Jetzt war es gespenstisch still, und der Nebel ließ alles noch unwirklicher erscheinen, abstrakt in grau-weiß.
Für einen Naturfilm über die Salzwiesen an der Nordseeküste suchte ich hier nach Motiven, die das Thema bei dem bedeckten Wetter ein wenig auflockern könnten.
Dann sah ich die verfallene Holzbrücke über dem zugefrorenen Wasserlauf. Ein starkes Fotomotiv, aber als Film, ohne Bewegung, ohne Handlung - reicht das?
Wie lässt sich diese eigenwillige Stimmung spannend vermitteln? Ziemlich einfach: wenn die Kamera sich bewegt. Schon wenige Zentimeter können Szenen interessanter machen: auf, ab oder seitwärts, weich und langsam.
Die Evolution im Filmen ohne Stativ
Sie ist noch gar nicht so lange her, die Zeit der wackeligen Videos mit der Handkamera! Auf einem kleinen Bildschirm war der Effekt noch erträglich, aber sobald der Bildschirm eine mittlere Größe hatte, war es einfach nur noch anstrengend - zu unruhig, zu wirr. Wenn der Bildschirm noch größer war, dann war der Effekt nicht mehr tolerabel. Jede kleine Bewegung potenzierte sich zu irritierenden Dimensionen.
Dabei kann ohne Stativ filmen so viel lebendiger sein und bietet mehr Möglichkeiten, spontan auf Unerwartetes zu reagieren, Handlungen zu folgen oder stillen Szenen Leben einzuhauchen.
Verschiedene Systeme und Techniken machen es heute möglich, auch die wildesten Szenen mit entfesselter Kamera aufzunehmen, ohne die Hektik flatternder Bilder - auch für die große Leinwand.
Statik und Bewegung bei Fotos & Film
Ein Foto ist statisch, eine Momentaufnahme im Bruchteil einer Sekunde. Der Film dagegen ist Bewegung, eine Aneinanderreihung mehrerer Bilder. Ein Windhauch, der das Wasser kräuselt oder ein Blatt bewegt, ein Rad, das sich dreht, ein Wimpernschlag - alles ist Bewegung, und das zeigt der Film.
Fotos und Filme erzählen Geschichten. Und diese bestehen immer aus einer Form von Bewegung. Die Herausforderung des Fotos besteht darin, eine Geschichte, eine Bewegung durch ein einziges Bild zu vermitteln statt durch die Abfolge von Bildern im Film. Die Herausforderung des Films ist es, Bewegung mit den vielfältigen Mitteln des Mediums so anschaulich wie möglich darzustellen.
Wichtig für beide Medien ist eine solide Basis oder Aufhängung für die Kamera. Das kann eine ruhige Hand sein, eine feste Unterlage, ein Monopod, ein Stativ.
Die Fotokamera braucht Stabilität für scharfe Bilder, die Film- oder Videokamera braucht sie für einen ruhigen Bildfluss. Was aber, wenn die Szene so ruhig ist, dass dem Film sein wichtigstes Merkmal fehlt, die Bewegung? Damit sind wir beim Filmen ohne Stativ!
Ruhe und Lebendigkeit - Gegensätze, die sich ergänzen.
Ein einfacher Kameraschwenk ist weniger spektakulär als eine vertikale oder horizontale Bewegung vor der Szene, die die Perspektive verändert. Auf dem Stativ bleibt die Kamera statisch, auch wenn sie in verschiedene Richtungen blicken kann.
Entfesselt ist sie erst, wenn sie, vom Stativ befreit, ihren Standort beliebig wechseln kann. Dann kann sie so geführt werden, dass sich zum Beispiel Vorder- und Hintergrund gegeneinander verschieben oder Szenen vorbeiziehen. Je näher dann der Vordergrund am Objektiv ist, desto eindringlicher ist der Effekt, vor allem mit dem Weitwinkelobjektiv.
Auch die Kamera ohne Stativ braucht eine Stütze, damit ihre Bewegungen ausgewogen und möglichst geschmeidig bleiben. Es geht darum, Ruhe und Lebendigkeit miteinander zu verknüpfen - die souveräne, stabile Kamera, die sich frei bewegt und den Szenen Dynamik gibt. Die Wirkung bringt nicht nur Leben in stille Sujets, sondern kann auch actionreiche Szenen dramatisch verstärken, ohne dass die Kamera die Ruhe verliert.
Im Spielfilm werden Szenen übrigens manchmal bewusst mit unruhiger Kamera aufgenommen, aus der Hand oder mit dem Schulterstativ. Dieses Stilmittel soll die Spannung steigern und authentisch wirken, kann aber für den Betrachter auf Dauer anstrengend sein.
Traditionell gibt es zwei recht aufwendige Methoden, die Filmkamera beweglich und gleichzeitig stabil zu führen: Jibarm/Kran und Slider/Dolly. Aufgesetzt auf das Stativ, bildet der Jibarm eine horizontale Achse, an deren Ende sich die Kamera innerhalb des Aktionsradius stabil in alle Richtungen bewegen lässt.
Der Kamerakran bewirkt das gleiche, womöglich mit noch größerem Radius. Slider und Dolly sind Schienen und Radsysteme, auf denen die Kamera der Aktion folgen kann. Aber, da geht noch mehr!
Es ist so weit: Ohne Stativ filmen wird möglich!
Mit dem Schulterstativ kam eine neue Freiheit in die Kameraführung. Losgelöst vom Stativ, bleibt der Kameramann flexibel, kann spontan der Action folgen und hat eine ausreichend feste Basis für stabile Aufnahmen. Im Dokumentar- und Actionbereich hat sich diese Technik bis heute bewährt.
Leichte vertikale Kamera-Bewegungen sind damit in sehr engen Grenzen möglich, horizontale dagegen noch weniger, weil sich die Schritte auf die Kamera übertragen. Die Stärke des Schulterstativs ist der blitzschnelle Standort-Wechsel, die spontane Reaktion auf schnell wechselnde Szenen.
Als dann vor 50 Jahren der kalifornische Kameramann Garret Brown die Steadicam erfand, erschlossen sich der flexiblen Kameraführung noch mehr Dimensionen. Sein System revolutionierte nicht nur den Actionfilm, sondern bewährte sich überall dort, wo die Kamera mitten im Geschehen Bewegungen vollziehen musste.
Im Laufen, auf Treppen, für Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge - die Steadicam lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie bedeutete den endgültigen Durchbruch zur wirklich freien Kamera. Dafür bekam sie sogar einen Technik-Oscar und hat die Stile vieler berühmter Filme geprägt.
Allgemein kommen Vorteile oft zu einem Preis. So ist die Steadicam aufwendig und teuer. Sie besteht aus einer gepolsterten, versteiften Weste, dem Stabilisierungsarm, dem Rig mit der kardanischen Kamera-Aufhängung, dem Monitor.
Zwar lässt die Steadicam die schwersten Kameras schweben, aber ihre Bedienung ist trotzdem sportlich – da sollte der Kameramann eine gute Kondition haben.
Mit den leichteren digitalen Kameras erschienen dann auch vereinfachte Varianten der Steadicam. Und mit der fortschreitenden Computertechnik entstand der elektronische Gimbal: ein Stabilisierungssystem über drei Achsen. Damit fand die entfesselte Optik endgültig Einzug in jede Form des Filmemachens, gerade mit kleineren Kameras.
Zusätzlich zu diesen Techniken der entfesselten Kamera erschienen Varianten und Ergänzungen. Dazu gehört auch Steadify für spezielle Effekte. Hier dient der ruhigste Pol des Körpers, die Hüfte, als Basis für einen frei schwenkbaren Monopod, der einfach am Körper getragen wird. Anders als das Schulterstativ funktioniert Steadify auch als mobiler Jibarm für vertikale Kamerabewegungen, gleichzeitig wird die Kamera völlig schwerelos.
Und die Kombination mit einem elektronischen Gimbal ergibt dann den klassischen Steadicam Effekt: die total entfesselte Kamera mit Freiraum in alle Richtungen, vertikal und horizontal, und in jeder denkbaren Situation - übrigens zu einem Bruchteil des Preises der Steadicam.

Eine neue Freiheit für das Filmen ist erreicht
Jetzt ist also die Technik da, mit der die Grenzen von Bewegung und Gewicht fast vollständig aufgehoben werden können. Die entfesselte Kamera ist ein hoch-agiles Instrument, eine Herausforderung an die Kreativität von Filmemachern. Sie macht Szenen lebendiger, gleichzeitig ermöglicht sie souveräne, ausgewogene Bewegungen:
Ohne Stativ gefilmt: Sequenz für einen Spielfilm
Ein schmaler Holzsteg ragt ins Meer, das Wasser ist ruhig, ein Paar sitzt entspannt auf dem Steg. Eine schöne, ruhige Stimmung, aber für eine Filmsequenz vielleicht zu ruhig. Um die Szene interessanter zu machen, wandert die Kamera sehr langsam von links nach rechts, ganz nah vorbei am hölzernen Geländer, das verstärkt die Wirkung. Die Bewegung der Kamera haucht der Szene Leben ein, die entspannte Stimmung bleibt durch die sehr langsame Geschwindigkeit erhalten.

Bei einer Spielfilm-Produktion mit einer entsprechend großen Kamera würde das Aufnahmeteam hier aufwendig Schienen legen und einen Dolly an der Szene entlang ziehen. Der Effekt lässt sich mit kleineren Kameras aber auch einfacher erreichen, es sind ja nur wenige Zentimeter, z.B. mit der Steadify-Gimbal Kombination oder mit einem kleinen elektrischen Gliedern.
Ohne Stativ gefilmt: Die Nordsee unter extremen Bedingungen
Unter extremen Bedingungen sind die Vorteile der entfesselten Kamera besonders spürbar. An der Nordseeküste war das so, als das Wasser bei Ebbe den weichen Wattboden freigab, sodass man nun buchstäblich auf dem Meeresboden laufen konnte. Eine betörende Ruhe überall, in der Entfernung nur das gelegentliche Kreischen der Möwen auf ihrer Suche nach Krebsen, die es bei ablaufendem Wasser nicht mehr rechtzeitig zurück ins Meer geschafft hatten.
Bei aller Schönheit der Abendstimmung konnte die Szene etwas Bewegung gut gebrauchen. Leider war kein Krebs zu sehen, der für etwas Leben gesorgt hätte. Dann also mit der Kamera. Aber hier, auf dem weichen Untergrund des Nordseewatts, wo die nackten Füße im Schlamm versanken, hatte keine Technik eine Chance.
Oder doch: mit Steadify aus der Hüfte gelang ein Kamerahub von knapp über dem nassen Untergrund bis über einen Meter nach oben, eine langsame, elegische Bewegung mit dem Weitwinkel-Objektiv. Das verstärkte die Wirkung und passte gut zur Weite der Landschaft.

Ohne Stativ gefilmt: Kitebuggys in Action!
Im Auge des Orkans soll es erstaunlich ruhig sein. Dahin gehört auch die Filmkamera, wenn sie im Zentrum der Action mitschwingt und dabei die Handlung souverän verfolgt.
Der Begriff Kitebuggy ist wahrscheinlich nur für Experten dieser seltenen Sportart deutlich. Es ist ein kleines, simpel konstruiertes Vehikel auf drei fetten Gummirädern, gemacht für rasante Fahrten auf dem Strand. Der Fahrer steuert ein riesiges Drachensegel, den Kite, an langen Leinen. Bei kräftigem Wind erreicht er damit beachtliche Geschwindigkeiten. Wie aber lässt sich das Erlebnis mit der Videokamera darstellen?
Die ruppige Fahrt auf unebenem Boden war eine ziemliche Herausforderung für mich, den Kameramann unmittelbar hinter dem Fahrer. Um die Szene noch spannender darzustellen, brauchte ich zusätzlich zur Fahrtgeschwindigkeit eine Kamerabewegung. Bei Aufnahmen fahrender Autos läßt man die Kamera gern horizontal vor oder hinter dem Fahrzeug entlangwandern, um mehr Dramatik zu erzeugen.
Hier, beim Kitebuggy, entschied ich mich für einen Kamerahub. Der Strandboden fegte ganz nah unter mir hinweg, ein dicker Reifen rollte unmittelbar vor dem Objektiv, während die Kamera sich langsam über die Szene hinweg schob und den Blick nach vorn freigab. Dazu kam das eindringliche Tongemisch von Wind und Fahrgeräuschen, das war Dramatik pur. Die Technik? Ganz einfach mit Steadify aus der Hüfte.

Ohne Stativ gefilmt: Wenn es hart auf hart kommt.
Szenenwechsel zur Produktion eines Dokumentarfilms über den Abbau eines riesigen Hafenkrans mit einem endlos langen Ausleger, 30 Meter hoch über dem Rhein. Was benötigte ich für optimale Qualität - Videostativ, Reisestativ, Monopod? Absurd - für die schmalen Metallsprossen der endlos langen Leiter braucht man beide Hände und möglichst wenig Gewicht.
Steadicam? Zu aufwendig, auf schmalstem Raum.
Handkamera? Keine Garantie für stabile Aufnahmen.
Steadify, Stabilität aus der Hüfte? Genau!
Am Kopf des Krans angekommen wagte ich kaum den Blick in die Tiefe, weit unten lag ein Lastkahn im Hafenbecken, merklich geschrumpft auf Spielzeuggröße. Hier oben, auf dem schmalen Kranausleger, wurde hart gearbeitet. Männer mit Preisboxer Muskeln legten Ketten aus, dicke, rostige Kettenglieder, die mit schweren Bolzen verankert wurden. Das dröhnende Rasseln von Metall auf Metall, die Zurufe der Arbeiter, die schwindelnde Höhe - pulstreibend.

Mittendrin nun ich mit der Videokamera. Ich wollte alles herausholen aus dieser Situation, um sie möglichst hautnah zu vermitteln. Dazu brauchte ich, zusätzlich zur Action um mich herum, die entfesselte Kamera. Ich hatte sie sicher und fast schwerelos auf Steadify abgestützt, so konnte ich den Szenen in alle Richtungen folgen. Im kühnen Schwenk von der Reling über dem Abgrund, bis zu den Männern unmittelbar daneben. Dann filmte ich tief entlang der rostigen Ketten, schließlich mit einem Hub ganz nah über den Bolzen, der gerade durch ein Kettenglied geschoben wurde, bis zu den Armen der Männer, die an den Ketten zerrten.
Ohne Stativ filmen sollte man üben, bis man es sicher beherrscht. Man muss dafür nicht auf einen 30 Meter Kran steigen, es reicht schon eine Schreibtischszene oder ein Blumenbeet. Die entfesselte Kamera bringt richtig Spaß, vor allem ist sie ein vielseitiges Stilmittel, mit dem man die Möglichkeiten des Films noch mehr ausreizen kann.
Und sollte eine ambitionierte Kamerabewegung einmal nicht den gewünschten Effekt zeigen, dann bleibt zur Steigerung der Bildwirkung immer noch – der Ton. Aber das ist ein anderes Thema...